Dar Zayed for Comprehensive Welfare
Am 1. Juni 2004 fand ich endlich die Zeit dazu, die einzige offizielle Anlage für Waisenkinder der Vereinigten Arabischen Emirate zu besuchen, die auf halbem Weg zwischen Abu Dhabi und Al Ain liegt. Dank eines persönlichen Kontakts erhielt ich eine Sondergenehmigung für diese Berichterstattung.
Die zweistündige Anfahrt von Dubai aus nahm ich gerne in Kauf und im Nachhinein kann ich sagen, dass der Besuch dieser Einrichtung großartig und faszinierend war. Der Tag wird mir sicherlich mein Leben lang in lebhafter Erinnerung bleiben.
Bereits bei Ankunft war ich perplex. Das so genannte „Waisenhaus“ ist nämlich gar kein Haus, so wie ich es mir bildlich vorgestellt hatte, sondern eine riesige Dorfgemeinschaft. Breite Alleen, gesäumt von Villen, Wohnhäusern, Sport- und Freizeitanlagen, Unterhaltungsräumlichkeiten, einer Moschee, einer Bibliothek, einem Theater, eines Krankenhauses und noch vielem mehr….ein richtiges Dorf eben! Die Anlage ist eine Privatinitiative des Gründers und Präsidenten der VAE als auch Herrschers von Abu Dhabi, Seiner Hoheit, Scheich Zayed Bin Sultan Al Nahyan. Das Anwesen liegt direkt neben einem seiner ahnsehnlichen Paläste, wobei es zuvor sogar innerhalb der Palastanlage angesiedelt war und erst nach der stetig zunehmenden Anzahl der Waisenkinder zu einer separaten Einrichtung wurde.
In dieser beispiellosen Anlage, die seit 1988 besteht, leben zurzeit 380 Waisenkinder und zusätzliche 40 Kinder, die nur vorübergehend dort beherbergt wurden. Die Kinderschar wird von den 600 Angestellten liebevoll betreut. Der Direktor der Anlage, Herr Ali Salem Al Amri, freute sich über meinen Besuch und wie es der Zufall wollte, war am selben Tag auch der Britische Konsul aus Abu Dhabi zu Gast, der sich auch gleich zu seinen Eindrücken interviewen ließ.
Gleich zu Anfang des Besuches empfing mich die Ärztin des örtlichen Krankenhauses, Dr. Jane El Shinnawi , die bereits vor 14 Jahren in die VAE zog und vor einem Jahr ihre Tätigkeit in der Anlage aufgenommen hat.
Dr. Jane, wie gefällt Ihnen die Arbeit in diesem einzigartigen Umfeld? Es ist eine Ehre hier zu arbeiten. Wir sind eine einzige große Familie. Die Arbeit mit den Kindern ist eine sehr große Bereicherung und ist auch auf der emotionalen Ebene sehr anspruchsvoll. Ich bin selbst Mutter von drei erwachsenen Kindern und betrachte nun die Waisen dieser Anlage als meine eigenen Kinder. Die Arbeit gibt mir sehr viel zurück. Als Ärztin bin ich für das gesundheitliche Wohl der Waisen zuständig. Neben den allgemeinen Behandlungen bei Krankheiten oder Unfällen werden die Kinder zum Beispiel auch alle geimpft.
Wie kommen die Waisen zu euch und was wisst ihr über deren Vorgeschichte? Die Waisen werden oft von diversen Krankenhäusern an uns übergeben oder sind sogar Findelkinder, die von Eltern ausgesetzt wurden. Darunter befinden sich zahlreiche Waisen ausländischer Eltern, die bei ihrer Ausreise einfach ihre Kinder in den Emiraten zurücklassen. Manchmal sind es auch Kinder von Eltern, die im Land eine Gefängnisstrafe absitzen. Von einigen Waisen liegen uns Daten von deren Vorgeschichte vor und von anderen so gut wie gar nichts. Die Kinder in der Anlage kommen oft als Säuglinge zu uns und leben hier bis sie erwachsen sind und ausziehen möchten.
Wie beurteilen Sie den Lebensstandard der Waisen in der Anlage? Sie führen ein sehr angenehmes Leben und sind meiner Ansicht nach, fast ein wenig zu verwöhnt. Auf jeden Fall stehen Kindern in normalen Familien oft nicht so viele Annehmlichkeiten zur Verfügung. Mädchen und Jungen leben bis zum Alter von rund acht Jahren in gemischten Unterkünften zusammen, danach leben sie getrennt nach Geschlecht und Altersgruppen in separaten Häusern und später auch Villen. Die Waisen werden intern in Gruppen bis zu sechs Personen eingeteilt, die jeweils einem Betreuer oder einer Betreuerin zugeordnet werden. Die Betreuer leben jeweils während fünf Tagen die Woche in der Anlage und sind so rund um die Uhr verfügbar. Die Betreuer sind lediglich für das Wohl der Kinder zuständig. Hausarbeiten wie Waschen, Kochen oder Lebensmitteleinkäufe etc. werden von weiterem Personal bewerkstelligt.
Die Waisen besuchen staatliche Schulen außerhalb der Anlage und können somit unbegrenzt gesellschaftlichen Kontakt zu ihren Kameraden, Freunden und anderen Familien pflegen. Selbst für die Freizeitaktivitäten übernehmen wir alle Kosten und stellen zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung, ob dies nun innerhalb oder außerhalb der Anlage sei. Wir haben hierfür sogar eine eigene Transportflotte. Die 55 Busse stehen den Waisen 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Dabei ist es egal ob sie reiten gehen, schwimmen, Fußball spielen oder einen Ausflug unternehmen möchten, selbst regelmäßige und teilweise sehr lange Reisen ins Ausland werden von uns bezahlt, durchgeführt und begleitet.
Nach einem kurzen Spaziergang entlang der Hauptstraße der Anlage erreichte ich das Administrationsgebäude, wo mir der Verantwortliche für Öffentlichkeitsarbeit, Herr Mubarak Al Amri, Rede und Antwort stand.
Herr Mubarak, erzählen Sie uns bitte mehr über diese wundervolle Anlage. 1988 wurde das „Dar Zayed for Comprehensive Welfare“ vom Präsidenten der VAE als auch Herrscher von Abu Dhabi, Seiner Hoheit Scheich Zayed Bin Sultan Al Nahyan gegründet. Es ist seine private Einrichtung die auch vollständig von ihm finanziert wird. Wir nehmen keinerlei Stiftungsgelder von Außerhalb an. Scheich Zayed hat die Schirmherrschaft später seiner Frau, Scheicha Fatma Bint Mubarak übertragen und heute obliegt das Patronat deren Sohn, Scheich Tahnoun Bin Zayed Al Nahyan.
Im Jahr 2002 erhielten wir eine neue und effizientere Verwaltung, die den Waisenkindern noch bessere Anlagen und Möglichkeiten zur Verfügung stellt und die sich auch darum bemüht, den Bekanntheitsgrad des Anwesens auf nationaler und internationaler Ebene zu fördern. Vor 2002 waren zum Beispiel Besuche von Journalisten oder Delegationen unerwünscht. Unser Ziel ist es in erster Linie den Charakter der Kinder zu stärken, so dass sie zu selbständigen, gebildeten, selbstsicheren und verantwortungsvollen Bürgern heranwachsen. Auch auf emotionaler und spiritueller Ebene wollen wir ihnen ein gutes Fundament mit auf den Lebensweg geben. Alle Waisen wachsen als Muslime auf und lernen alle damit in Verbindung stehenden Pflichten und Grundsätze. Der Islam wird hier gelebt und nicht nur theoretisiert. Wir beten mit den Kindern, unternehmen gemeinsam die Pilgerreise und noch vieles mehr. Auch hinsichtlich des Kulturerbes der VAE werden sie in alle Traditionen eingeführt und lernen so zum Beispiel auch die nationalen Tänze, Lieder, Handwerke und Sportarten. Die Kinder lernen natürlich auch Arabisch und sprechen sogar allesamt den lokalen Dialekt. Sie tragen auch die traditionelle emiratische Kleidung.
Wie setzt sich euer riesiger Verwaltungsapparat von 600 Angestellten zusammen? Wir sind in der Tat eine kleine Stadt. Neben den zahlreichen Betreuern und Betreuerinnen haben wir natürlich auch Personal für alle weiteren Bedürfnisse. Gärtner für unsere Farmen und Grünanlagen, Köche, Busfahrer, Friseure, Schneider, Freizeitgestalter, Sportveranstalter, Krankenschwester und Ärzte.und noch vieles mehr! Wir haben eine eigene und sehr große Abteilung für Finanzen, die sich nicht nur um die Gelder für die Anlage kümmert, sondern auch um die finanzielle Absicherung der Waisen. Wir legen für jedes Kind ein Investmentkonto an, das ihm bei Vollmündigkeit ein finanziell sorgloses Leben ermöglichen soll. Daneben erhalten sie natürlich auch wöchentliche Taschengelder. Bei Erreichen des Erwachsenenalters kaufen wir für sie auch Häuser außerhalb der Anlage, geben ihnen Autos und helfen ihnen dabei, einen guten Arbeitsplatz zu finden.
Wie lange bleiben die Waisen durchschnittlich bei euch? Gemäß Statistik liegt das durchschnittliche Eintrittsalter zwischen vier bis fünf Jahren. Danach bleiben sie in der Regel bis zum 18. Lebensalter im Innern der Anlage und danach betreuen wir sie außerhalb. Im letzten Jahr haben vier unserer Waisenjungen vier der Waisenmädchen geheiratet. Die vier Paare leben nun außerhalb des Zentrums und eines davon wurde vor kurzem Eltern. Es ist das erste Waisen-Elternpaar in der Geschichte des Anwesens, das nun eine eigene Familie gegründet hat. Bei uns gibt es jedoch kein Austrittsalter. Unsere Tore stehen den Waisen immer offen, selbst wenn sie im Erwachsenenalter wieder bei uns wohnen wollten.
Die Waisenkinder kommen ja aus aller Welt und aus den unterschiedlichsten sozialen und religiösen Umfeldern. Mir ist aufgefallen, dass die Kinder tadellose Umgangsformen haben was gewiss auf eure gute Kinderstube zurückzuführen ist. Was ist eure Strategie? Die Kinder werden hier alle einheitlich erzogen, erlernen alle die selbe Sprache, kleiden sich in der selben Landestracht und wachsen alle als praktizierende Muslime auf. Wie Sie selbst sehen, gehen die Kinder alle sehr einträchtig und freundlich miteinander um, es ist eine große Familie. Allerdings ist es so, dass alle Kinder bei Eintritt erst einmal über die hier geltenden Verhaltensregeln gegenüber dem Personal und den anderen Waisen informiert werden und diese auch einhalten müssen.
Die Kinder erhalten bei Eintritt ins Waisenhaus die VAE-Staatsbürgerschaft und auch einen landestypischen Vor- und Nachnamen. Wer sucht diese Namen aus? Die Namen der Kinder werden von unserem Schirmherren ausgesucht und er kümmert sich dann auch um die Ausstellung der Reisepässe. Die Kinder wachsen alle als VAE-Staatsbürger auf. Wir ermöglichen ihnen hier ein sehr gutes Leben, was auch eine umfassende Ausbildung mit einbezieht. Wenn die Kinder einmal erwachsen sind, werden sie dem Land durch ihre Fähigkeiten und dem Ausüben ihrer Berufe wieder etwas zurück geben können.
Nicht alle Kinder hier sind Vollwaisen. Manche sind sogar einige Jahre bei einem Elternteil aufgewachsen. Kommt es vor, dass Eltern ihre Kinder zurück haben wollen? Obwohl wir die Mütter und Väter um die es sich hier handelt kennen, und diese über die Jahre hinweg immer wieder dazu bewegen wollten, sich selbst um ihre Kinder zu kümmern oder sie wenigstens zu besuchen, so kam dies bisher noch kein einziges Mal vor. Es ist eine traurige Angelegenheit.
Sind alle Waisen Einzelkinder oder befinden sich unter ihnen auch Geschwisterpaare? Ja wir haben einige Geschwisterpaare.
Die Kinder stellen früher oder später einmal die große Frage – nämlich wer ihre richtigen Eltern sind. Wie geht ihr damit um und gebt ihr den Kindern, falls die Informationen vorliegen, die Gelegenheit ihre Eltern kennen zu lernen? Wenn wir Informationen über deren leibliche Eltern haben, dann sind diese in vertraulichen Akten und nicht für die Kinder einsehbar. Deshalb kam es bisher noch nie vor, dass die Kinder ihre leiblichen Kinder aufgesucht haben.
Alle Waisen besuchen ja normale Schulen außerhalb der Anlage und pflegen somit sozialen Kontakt zu „normalen“ Familien. Kam es schon vor, dass die Kinder lieber bei befreundeten Familien leben wollten? Natürlich vermissen die Kinder trotz aller Annehmlichkeiten ein ganz normales Familienleben. Sie dürfen ihre sozialen Kontakte jedoch uneingeschränkt pflegen und deshalb kam so eine Situation bisher noch nie vor.
Ist diese Anlage Mitglied bei nationalen oder internationalen Netzwerken von Waisenorganisationen oder Hilfswerken? So viel ich weiß, gibt es keine internationale Dachorganisation für Waisenhäuser. Wir stehen jedoch in Kontakt zu anderen privaten Waisenhäusern in Jordanien und in Ägypten. Im Oktober 2004 werden wir hier in den Emiraten die erste Konferenz zum Thema Waisenhäuser abhalten.
Wie sehen eure Zukunftspläne aus? Gemäß der Anordnungen von Seiner Hoheit des Präsidenten, Scheich Zayed Bin Sultan Al Nahyan, wollen wir weiterhin sicher stellen, dass wir den Waisen das beste Fundament zu einem erfolgreichen und selbständigen Leben bieten. Als Erwachsene sollen sie stolz auf sich selbst sein können und ihr Land soll stolz auf sie sein können.
Was ist eure Botschaft an die Leser dieses Artikels? Unsere Arbeit hier ist nur ein Tropen auf den heißen Stein. Wir sind auf die Mithilfe der Bürger aller Nationen angewiesen, die den Waisen in aller Welt die bestmöglichsten Einrichtungen und nur die allerbeste Betreuung zur Verfügung stellen sollen. Dieses private Projekt von Seiner Hoheit ist nur eines seiner zahlreichen humanitären Hilfswerke. Er ist ein sehr freigiebiger Philanthrop der sich im Sinne des Islams und gemäß dessen Pflichten, uneingeschränkt und unabhängig von Religion, Nationalität und sozialem Umfeld um die Bedürftigen in der Gesellschaft kümmert.
Weiter ging es zum Büro des Direktors, wo der britische Konsul von Abu Dhabi sich zu seinem ersten Besuch in der Anlage äußerte.
Herr Konsul, Sie sind heute zum ersten Mal hier. Was meinen Sie zu dieser Anlage? Obwohl ich bereits seit drei Jahren in den VAE bin habe ich erst vor einem Monat vom „Dar Zayed“ erfahren und ich habe hier heute zwei englische Jungen besucht, die seit zweieinhalb Wochen hier leben. Ich bin sehr beeindruckt von der Anlage. Sie hat alle meine Erwartungen übertroffen. Die Waisen haben hier ein richtiges Zuhause.
Muslime werden in den westlichen Medien oft als Terroristen dargestellt. Meinen Sie dass die guten Beispiele, wie etwa dieses Waisenhaus, das von Muslimen gegründet, finanziert und geleitet wird und in dem alle Kinder als praktizierende und friedliebende Bürger aufwachsen, Menschen dazu bewegen kann, ihre Fehlinformationen zum Islam zu berichtigen? Erstens glaube ich nicht alles was in den Medien steht. Als Konsul ist es nicht meine Aufgabe, die Methodik der Medien zu korrigieren. Aber auf jeden Fall ist die Anlage ein sehr gutes Exempel. Ich möchte die Verantwortlichen dazu ermutigen, weiterhin so gute Arbeit zu leisten.
Vor meiner Rückfahrt nach Dubai stattete ich gemeinsam mit Rahma Salem auch noch dem Theater einen Besuch ab, wo wir noch ein wenig mit ein paar Waisen plauderten.
Farid Faisal , 11 Jahre alt „Ich lebe schon sehr lange hier, ich weiß gar nicht mehr genau, wie alt ich war, als ich hierher kam. Am besten gefallen mir in der Anlage die Feierlichkeiten, wenn es jeweils welche gibt. Wenn ich einmal groß bin, möchte ich Arzt oder Athlet werden, obwohl ich auch sehr gerne zeichne. In meiner Freizeit beteilige ich mich gerne an den angebotenen Ausflügen oder schaue fern.“
Mailoud Al Qubaisi, 16 Jahre alt “ Ich bin als Säugling hierher gekommen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass man mir hier ein Zuhause bietet und dass sie uns hier alles beibringen, was man im Leben wissen muss. Später will ich entweder Musiker oder Springreiter werden. Am liebsten spiele ich Klavier.“
Mustafa , 16 Jahre “ Ich bin 16 Jahre alt und war mein ganzes Leben lang hier. Ich würde gerne einmal beim Fernsehen arbeiten. Eigentlich fehlt es uns hier an nichts aber es gibt manchmal auch Tage, wo uns dieses etwas trotz allem fehlt.“
Ich bedankte mich bei allen für diese sehr interessante Begegnung und gemeinsam schlenderten wir noch ein letztes Mal über die Hauptstraße der Anlage, bevor ich mit ein bisschen Wehmut im Herzen meine Rückreise antrat.